—     Ibrahim Maalouf, Nov. 2022

„Ziemlich freaky“. Das neue Album von Ibrahim Maalouf, Capacity to Love, vereint auf irre Art und Weise eine Vielzahl an Genre. Da trifft z.B. Jazz auf soulig angehauchten Pop im Feature (Better on My Own) mit der jungen US-Amerikanischen Sängerin Alemeda, sowie auf raffiniert eingesetzte Elektro–Elemente (z.B. in Speechless). Klingt wild. Ist aber so und stellt sich zudem als sehr erfrischend heraus! Der größte Teil des Albums kombiniert jedoch (kein Deut weniger spannend) Jazz und Hip-Hop/Rap. So ist erwähnte Kombination mal mit entspannten Old-School Beats durch Songs wie Quiet Culture vertreten (den Flow zu dem Song steuert De La Soul Mitglied Pos bei), aber setzt auch auf das Rap-Sub-Genre Grime, mit seinen düster-ballernden Beats, welche ihre Ursprünge in London haben (sehr eindrucksvoll zu hören in The Pope).

Merkwürdigerweise schaffe ich es mich in kaum einer Situation so klar auf Musik zu konzentrieren wie auf meiner morgendlichen Autofahrt zur Arbeit. So kommt es, dass mein Arbeitstag heute morgen ganz unverhofft mit Charlie Chaplin (im Intro des Albums) begann und (ich mochte es nicht für möglich halten) mir direkt etwas Gänsehaut verschaffte. Es handelt sich, soweit ich das zu deuten vermag, um die Schlussrede aus Chaplins Meisterwerk, der Große Diktator. Viel treffender könnten diese Worte nicht in die heutige Zeit und dieses Album passen, so sind sie doch eine Ode an die Menschlichkeit, an ein respektvolles Miteinander, an unseren klaren Verstand und an ein friedliches Miteinander. Durchaus etwas begeistert starte ich also nach dem Intro in das Album mit seinem ersten Track (Speechless).

Softe Trompetentöne, eine tragende, melancholische Stimmung, jedoch von enormer Eleganz, macht sich in meinem kleinen Auto breit. Die Gänsehaut nimmt nochmal etwas zu. Bis.. ja, bis es auf einmal zum Bruch des gesamten Stücks kommt. Ich schaff es an der roten Ampel grade noch zu bremsen so erstarrt bin ich. Ein elektronischer Beat setzt ein, untermalt von einer wuchtigen Bassline. Synthesizer spielen und die Trompetenklänge rücken in den Hintergrund. Es wirkt wild. Aber macht unglaublich Freude zu hören. Eine experimentelle, fast schon gewagte Kombination, die uns Ibrahim Maalouf hier direkt als Album-Auftakt präsentiert. Aber seien wir doch mal ehrlich: Wenn wir in der Musik etwas wagen sollten, dann jetzt und hier im 21. Jahrhundert. Elon Musk hat schliesslich grade Twitter gekauft, was bleibt uns da noch, was soll da noch schiefgehen. Außer, dass ein junger Typ auf seinem Blog eine schlechte Rezension über das neueste Werk von Ibrahim Maalouf verfasst. Das ist jedoch keines Wegs der Fall. Auch wenn ich eigentlich gar nicht vor hatte über diese LP zu schreiben, so verfasse ich jetzt ein Lob in höchsten Tönen.

Dabei ist das Spiel von Maaloufs Trompete gar nicht allzu komplex, verglichen mit früheren Alben des Künstlers. Aber komplex ist ja auch nicht automatisch ein Qualitätsmerkmal in der Musik. Vielmehr überzeugen die außergewöhnlichen Kompositionen der Titel, der bunte, aber sehr runde Mix der unterschiedlichsten Genre. Die Grenzen sind hierbei fließend. Mal ist es nur ein Hauch, ein paar zarte Trompetentöne weit im Hintergrund des anderen Geschehens eines Songs – Das geht so weit, dass man dabei immer mal wieder vergisst, dass man hier dem aktuellen Album eines Star-Trompeters lauscht. Mal sind es aber auch ganz klassische Passagen feinsten Jazz, angetrieben durch Ibrahims butterweich gespielten Noten. Die Dosierung dieser Elemente innerhalb eines Songs ist dabei immer sorgfältig gewählt, mit nahezu kongenialem Gespür für perfekte Komposition und das jeweilig kombinierte Genre. Erstaunlich.

Denken wir an den Klang einer Trompete, verbinden wir dies doch fast immer mit Jazz, oder? So wird es wohl vielen (jungen) Menschen in meinem Alter gehen. Doch maßgeblich bestimmt das Album, welches wir hier vor uns haben, nicht der Jazz. Neu für Maalouf ist auf dieser LP das Erschaffen einer Symbiose seiner Trompetenklänge mit unterschiedlichsten Musikgenre, die bei weitem noch nicht so alt sind wie der Jazz: Elektronik, Elektro-Pop, Rap, Dancehall. Auf diese Art und Weise schafft Ibrahim Maalouf etwas unglaublich spannendes und für sein Heimat-Musik-Genre, den Jazz, etwas sehr wichtiges: Er macht ihn durch die Aufhebung der Genre-Grenzen zugänglich für eine weite Masse unserer Gesellschaft.

Verblüffend ist auch, wie treffend die starke, inhaltliche Message an die Gesellschaft (die Hymne an Toleranz, Menschlichkeit und Annäherung, sowie respektvollen Individualismus) sich mit der vermeintlichen Botschaft an die Musikwelt deckt. Diese scheint die Symbiose durch die Genre–Annäherung (wie sie in den 15 Songs auf Capacity to Love stattfindet) mehr denn je von Künstlern zu fordern.

Der Trompeten-Virtuose (und auch die Künstler, die er auf dieser LP versammelt) hat verstanden, was passieren muss, damit der Jazz (und auch viele andere Genre) nicht in der Bedeutungslosigkeit versinkt/en: Er muss sich an die Hörgewohnheiten eines völlig neuen Publikums, einer völlig neuen Zeit annähern. Das ist ihm mit Capacity to Love mit bravur gelungen. Ibrahim Maalouf verändert und prägt den Jazz, sowie die gesamte Musikwelt nachhaltig.

Ich hoffe, dass Ich nicht der einzige bin, den diese LP durch und durch beseelt an einem Freitag-Morgen in der Arbeit ankommen lässt. Schönes Wochenende Allerseits!

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